03 Jul 5 Fragen an Programmbereichsleiter des RKW Kompetenzzentrums Dr. Matthias Wallisch
Die Startup- und Unternehmer-Szene hat einiges zu bieten neben innovativen Startups, kreativen Coworking Spaces, auch Acceleratoren und spannende Unternehmerpersönlichkeiten. Damit ihr einen kleinen Einblick bekommt, was und wen es alles gibt, stellen wir euch immer wieder coole Persönlichkeiten aus der Szene vor.
Dieses Mal haben wir Dr. Matthias Wallisch vom RKW Kompetenzzentrum interviewt. Er ist mit verantwortlich für den GEM Deutschland, den Global Entrepreneurship Monitor Deutschland, der die Gründungsaktivitäten und -einstellungen in Deutschland jährlich erhebt. Der neue Jahresbericht wurde am 28. Juni 2024 veröffentlicht.
DAS INTERVIEW/
Hallo Matthias, schön, dass Du die Zeit gefunden hast, für uns einmal Rede und Antwort zu stehen. Zuallererst stell Dich einfach kurz vor, wer bist Du und was machst Du?
Genau, der Global Entrepreneurship Monitor (GEM) ist seit 28. Juni veröffentlicht und gibt Aufschluss über aktuelle Gründerinnen und Gründer. Was waren für Dich die positiven Erkenntnisse zum Gründungsstandort Deutschland? Was hat Dich überrascht?
Bemerkenswert ist das gestiegene Niveau der Gründungsaktivitäten seit 2019 mit lediglich einem schwachen Wert im ersten Pandemiejahr. Derzeit scheint sich die Gründungsquote in Deutschland bei Werten zwischen 7 und 8 Prozent einzupendeln. Für den GEM-Länderbericht 23/24 haben wir eine Gründungsquote von 7,7 Prozent berechnet. Im Vergleich zum langfristigen Durchschnitt der letzten 20 Jahre ein überdurchschnittlicher Wert, denn vor 2019 wurde jeweils nur eine signifikant niedrigere Quote von etwa 5 Prozent erreicht.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Definition der Gründungsquote im Rahmen des GEM: es handelt sich um den Prozentanteil derjenigen 18–64-Jährigen, die während der letzten 3,5 Jahre ein Unternehmen gegründet haben und/oder gerade dabei sind, ein Unternehmen zu gründen. Diese unterscheidet sich von anderen Studien, wie beispielsweise dem KfW-Gründungsmonitor. Hier werden Personen als Gründerinnen und Gründer erfasst, die innerhalb von 12 Monaten vor dem Befragungszeitpunkt eine selbstständige Tätigkeit begonnen haben. Demzufolge sind die Quoten bei den Kollegen von der KfW deutlich niedriger. Der neue Bericht von der KfW ist ebenfalls erst vor kurzem erschienen. Sehr lesenswert.
Das ist ja ein GLOBAL Entrepreneurship Monitor. Was sagen die Zahlen im globalen Kontext aus, wie ist Deutschland da einzuordnen? Kann Deutschland ein attraktives Gründungsökosystem bieten?
Wenn die räumliche Bezugsgröße ein Land ist, würde ich eher von Rahmenbedingungen als von einem Gründungsökosystem sprechen. Denn Startup-Ökosysteme oder Gründungsökosysteme haben eine regionale Ausprägung und keine nationale. Einzelne Ökosysteme werden dann von gründungsbezogenen Rahmenbedingungen beeinflusst.
Für Deutschland werden öffentliche Förderprogramme aber auch die Beratungslandschaft für Gründungen sehr positiv bewertet. Eher negativ fallen die Einschätzungen für gesellschaftliche Normen und Werte, Steuern und Regulierung sowie die schulische Gründungsausbildung aus. Finanzierungsmöglichkeiten werden weder gut noch schlecht bewertet, sondern eher mittelmäßig. Das mag darin liegen, dass in Deutschland insbesondere in den frühen Phasen durchaus ein breites Spektrum an Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung steht, in der kapitalintensiven Wachstumsphase jedoch nach wie vor Lücken, insbesondere für skalierende Startups, vorhanden sind.
Im internationalen Vergleich sind die Rahmenbedingungen eher durchschnittlich zu bewerten. Länder wie Estland oder die Niederlande werden deutlich besser bewertet, auch Frankreich schneidet etwas besser ab. Südeuropäische Länder wie Spanien, Griechenland oder Italien werden hingegen als Gründungsstandort schlechter bewertet.
Insgesamt lässt sich ja über den Gesamtzeitraum der Erhebung und vor allem auch für die letzten Jahre ein positiver Trend in Sachen Gründungen feststellen. Es wird wieder mehr gegründet. Wie geht das mit der aktuellen Gesamtsituation und der herrschenden Unsicherheit zusammen? Viele fühlen sich ja durch Klimawandel, die aktuellen Kriege, Corona, aber jetzt auch den Rechtsruck in der Politik und das nicht nur in Deutschland, insgesamt im Hinblick auf die Zukunft verunsichert – vor allem auch junge Menschen.
Es ist schwer, klare Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Unsicherheit und Gründungsaktivitäten zu erkennen. Die Menschen in Israel leben beispielsweise seit Jahrzehnten mit einer großen Unsicherheit und die Gründungsquote war tendenziell im internationalen Vergleich eher überdurchschnittlich hoch. Die israelische Startup-Szene genießt weltweite Anerkennung. In Deutschland führen wirtschaftliche Boom-Phasen nicht unbedingt zu einem Anstieg der Gründungsaktivitäten, denn dann gibt es auch viele spannende Jobs in etablierten Unternehmen mit attraktiven Gehältern, die man als Gründerin oder Gründer nicht sofort erreichen kann. Spannend ist die Beobachtung, dass die Gründungsaktivitäten während der Pandemie nach dem ersten Jahr deutlich angestiegen sind. Im Zuge der Krise haben sich offensichtlich neue Gründungschancen ergeben. Mit Blick auf die politische Großwetterlage ist es wichtig auf die Bedeutung von Gründungen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte hinzuweisen: In Deutschland lebende Migranten gründen häufiger als Einheimische. Je nach Definition gehören etwa ein Viertel der Gründenden zu dieser Gruppe. Zu den wichtigsten Herkunftsländern zählen unter anderem die Türkei, Italien, Polen und Rumänien. Gründende mit ausländischer Herkunft sind außerdem etwas häufiger im Export tätig als einheimische Gründerinnen und Gründer.
Wenn es um einen Rechtsruck in der Politik und in Europa geht, dann blickt man fast reflexartig nach Italien: Am 22. Oktober 2022 wurde Giorgia Meloni italienische Ministerpräsidentin. Sie ist Vorsitzende der rechtskonservativen Partei Fratelli d’Italia. Seit ihrem Amtsantritt wurde für das Referenzjahr 2023 bisher einmal im Rahmen des GEM eine Gründungsquote erfasst. Diese ist mit über 8 Prozent nahezu doppelt so hoch wie das langjährige Mittel der letzten 20 Jahre. Rückschlüsse für die Zukunft oder auch für andere Länder lassen sich hieraus jedoch nicht ableiten.
Ein Thema, das immer noch und auch im weltweiten Vergleich aktuell bleibt, ist die Gender Gap. Es gründen deutlich weniger Frauen (5,9%) als Männer (9,3%). Was muss sich für Frauen verbessern, dass diese mehr gründen? Was fehlt an Angeboten oder Unterstützung, damit sich die Situation für Frauen hier ändert?
Es bestehen nach wie vor Unterschiede in der Gründungshäufigkeit zwischen Frauen und Männern, wobei sich eine Annäherung der Quoten abzeichnet. In unserem aktuellen Datensatz erfolgen 38 Prozent der Gründungen durch Frauen und 62 Prozent der Gründungen durch Männer. Anhand der Zahlen seit dem Jahr 2001 lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten: Zu Beginn der Nuller Jahre kamen auf eine Gründung durch eine Frau zwei Gründungen durch Männer (Faktor 2). Heute beträgt der Faktor nur noch 1,6. Gründungsaktivitäten von Frauen unterliegen im Zeitverlauf geringeren Schwankungen als Gründungsaktivitäten von Männern. Das Gründungsverhalten der Männer ist offensichtlich stärker von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einflüssen abhängig. Dies zeigt sich in einer Annäherung der Quoten in Krisenzeiten. Während der Finanzkrise (2008 und 2009) und dem ersten Jahr der Corona-Pandemie waren Gründungen durch Männer deutlich stärker rückläufig, als die von Frauen. Die Gender-Lücke war in diesen Phasen geringer als im langjährigen Durchschnitt. Spannend ist der internationale Vergleich: Auch in den meisten anderen europäischen Ländern gründen Männer häufiger als Frauen, jedoch sind die Unterschiede im Durchschnitt weniger stark ausgeprägt.
Was sind Handlungsempfehlungen, die das RKW auf Grundlage des aktuellen GEM, rausgibt? Wo ist hier Handlungsbedarf für die Gründerszene? Und rücken Frauen da vielleicht auch endlich mehr in den Fokus durch entsprechende Empfehlungen?
Du gibst ja auch Workshops zum Aufbau und Gelingen von Gründungsökosystemen. Wo siehst Du da aktuell Frankfurt im Ranking? Was läuft gut, was muss sich noch verbessern?
Vielen Dank für das Interview mit Dir und vor allem für die spannenden Einblicke in das Gründungsökosystem Frankfurt und auch den Blick auf Deutschland als Gründungsstandort durch den GEM.
Dr. Matthias Wallisch ist als Programmbereichsleiter des RKW Kompetenzzentrums für Gründungsökosysteme zuständig. Dabei kennt er sich mit regionalen Ökosystemen für Gründende und Startups in ganz Deutschland aus und untersucht diese. Im Team des GEM ist er zudem mitverantwortlich für die Erhebung zu Gründungsaktivitäten und -einstellungen in Deutschland. Jährlich werden diese untersucht und mittels Befragungen ermittelt, um daraus eine Gesamtstimmung für die Gründungslandschaft im Land und auch im internationalen Vergleich ableiten zu können.
Mehr zum Global Entrepreneurship Monitor 2023/24 gibt es auf deren Webseite.
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